Tag Archives: Peter Handke

My Book Year 2019

The year 2019 is almost over and it is time to look back at my reading and blogging experiences.

After a hiatus, I started again to blog more or less regularly and I hope this will be also the case for 2020.

As for my reading, I didn’t keep a diary to track down the books I read this year, but the number is approximately 130, so roughly two and a half books per week, of which around 60% were fiction, 40% non-fiction. Almost all books I read were “real” printed books, only one book was read electronically. I read books in four languages (German, English, French, Bulgarian).

Every book year brings interesting discoveries, pleasant surprises, some re-reads of books I enjoyed in the past, and a few disappointments. Here are my highlights of the last year:

The most beautiful book I read in 2019: Arnulf Conradi, Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung (Zen and the Art of Birdwatching)

Best re-reads in 2019: Michel de Montaigne, Essais; Karl Philipp Moritz, Anton Reiser; Salomon Maimon, Lebensgeschichte (Autobiography)

Best novels I read in 2019: Marlen Haushofer, Die Wand (The Wall); Uwe Johnson, Jahrestage (Anniversaries); Jean Rhys, Sargasso Sea

Best poetry books I read in 2019: Thomas Brasch: Die nennen das Schrei (Collected Poems); Johannes Bobrowski, Gesammelte Gedichte (Collected Poems), Franz Hodjak, Siebenbürgische Sprechübung (Transylvanian Speaking Exercise); Yehuda Amichai, The Poetry of Yehuda Amichai; Anise Koltz, Sich der Stille hingeben (Surrender to the Silence); Mahmoud Darwish, Unfortunately It Was Paradise; Vladimir Sabourin, Останките на Троцки (Trotzky’s Remains); Rainer René Mueller, geschriebes, selbst mit stein

Best Graphic Novel I read in 2019: Art Spiegelman, Maus

Best SF novel I read in 2019: Arkady and Boris Strugatsky, The Doomed City

Best crime novel I read in 2019: Ingrid Noll, Halali

Best philosophy book I read in 2019: Ibn Tufail, The Improvement of Human Reason

Best non-fiction books I read in 2019: Charles King, The Moldovans; Charles King, Midnight at the Pera Palace; Timothy Snyder, The Road to Unfreedom; Adriano Sofri, Kafkas elektrische Straßenbahn (Kafkas Electric Streetcar); Rebecca Solnit, A Field Guide to Getting Lost; Lucy Inglis, Milk of Paradise; Adina Hoffman and Peter Cole, Sacred Trash; Sasha Abramsky, The House of Twenty Thousand Books

Best art book I read in 2019: Hans Belting, Der Blick hinter Duchamps Tür (The View behind Duchamp’s Door)

Best travel book I read in 2019: Johann Gottfried Seume, Spaziergang nach Syrakus (Walk to Syracuse)

Biggest book disappointment in 2019: Elena Ferrante, Neapolitan Novels

Favourite book cover in 2019: Ivo Rafailov’s cover for the Bulgarian edition of Marjana Gaponenko’s Who Is Martha? (this edition is upcoming in January 2020)

Most impressive translator’s work: Jennifer Croft’s translation of Flights by Olga Tokarczuk; Vladimir Sabourin’s translations in his Bulgarian poetry anthology Радост на Началото (The Joy of the Beginning)

Most embarrassing authors in 2019: Peter Handke; Christoph Hein; Zachary Karabashliev

Good as always: Vladimir Sorokin, The Blizzard; Clarice Lispector, Near to the Wild Heart; Ismail Kadare, The Traitor’s Niche; Jabbour Douaihy, Printed in Beirut; Georg Klein, Die Zukunft des Mars (The Future of the Mars); Phillipe Claudel, Le rapport de Brodeck (Brodeck), Kapka Kassabova, Border; Naguib Mahfouz, The Midaq Alley

Interesting Authors I discovered in 2019: Samanta Schweblin, Mouthful of Birds; Olga Tokarczuk, Flights; Isabel Fargo Cole, Die Grüne Grenze (The Green Border); Hartmut Lange, Das Haus in der Dorotheenstraße (The House in the Dorotheenstraße); Erich Hackl, Abschied von Sidonie (Farewell to Sidonia)

And which were your most remarkable books in 2019?

© Thomas Hübner and Mytwostotinki, 2014-9. Unauthorized use and/or duplication of this material without expressed and written permission from this blog’s author and/or owner is strictly prohibited. Excerpts and links may be used, provided that full and clear credit is given to Thomas Hübner and Mytwostotinki with appropriate and specific direction to the original content.

Selbstkommodifizierung von Autoren

Auch in der Literatur hat sich in den letzten Jahrzehnten so etwas wie Commodification ausgebreitet. Bestimmten Autoren ist es gelungen, so etwas wie ein Markenartikel zu werden. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist Ernest Hemingway, und in einer Besprechung eines seiner Romane habe ich darüber auch kurz geschrieben. Ein Autor, von dem alle ein bestimmtes Bild im Kopf haben, dass sich gewissermaßen von seinem literarischen Werk abgekoppelt hat und dieses häufig komplett ersetzt hat. Es soll Leute geben, die Hemingway als Lieblingsautor angeben, auch wenn sie noch nie ein Buch von ihm gelesen haben. (Mancher wäre unangenehm überrascht, wie schlecht und schwer erträglich manches von Hemingway ist, würde er ihn denn lesen.)

Dazu kommt, dass der Autor/in, der/die häufig in den Medien erscheint, in aller Munde ist und dadurch auch zum beliebten Gesprächsthema sich als gebildet betrachtender Menschen bei Cocktailpartys und dergleichen Gelegenheiten wird. Dabei ist es gar nicht unbedingt notwendig, herausragende Werke zu verfassen, entscheidend ist das soziale Interesse der Konsumenten.

Ein Autor, der das ganz ausgezeichnet verstanden hat, ist Peter Handke. Schon bei seinem allerersten Auftreten in den 1960er Jahren provozierte er das gesamte literarische Establishment der Gruppe 47; später kam dann seine Publikumsbeschimpfung dazu, in der er das Theaterpublikum auf ähnliche Weise provozierte. Die Leute finden das natürlich unterhaltsam und man kann sich je nach Naturell auch wunderbar darüber aufregen. Beides ist gut für den Autor in unserer heutigen Aufmerksamkeitsökonomie. Und egal, welchen Skandal Handke später lieferte – körperliche Gewalt gegen die Lebensgefährtin, Fausthiebe gegen einen Literaturkritiker, zahlreiche abgebrochene Interviews des sich jeweils provoziert fühlenden Autors, Beschimpfungen aus der Genital- oder Analsphäre gegen kritische Zeitgenossen vorzugsweise weiblichen Geschlechts, eine fast zweistellige Zahl von Büchern, in denen er mal mehr, mal weniger subtil sein geschichtsrevisionistisch-völkisches Jugoslawienbild zeichnet und nebenbei Propaganda für serbische Kriegsverbrecher macht, Interviews in denen er einen Genozid leugnet oder relativiert -, er erinnert die Öffentlichkeit mit diesen Skandalen immer wieder daran, dass es ihn gibt und das verschafft ihm enorme Medienresonanz, die er mit seinen Romanen, Erzählungen und Theaterstücken allein nie auch nur annähernd erreicht hätte. Die Folge sind neue Leser und Literaturpreise wie am Fließband, zuletzt auch der Nobelpreis. Alle wissen heute, wer Handke ist – er ist ein Markenartikel.

Im Zeitalter der sogenannten Sozialen Medien ergeben sich natürlich noch mehr Möglichkeiten als früher. Wenn man sieht, wie ungehemmt narzisstisch sich viele Autoren auf ihren Social Media-Auftritten in Szene setzen, kann das ebenfalls als mehr oder weniger erfolgreiche Strategien der Selbstkommodifizierung sehen. (Ich nenne hier ganz bewusst keine Beispiele; jeder kennt solche Peinlichkeitsorgien.) Daneben gibt es aber auch die Autoren, die hauptsächlich damit beschäftigt sind, ihre Bücher zu schreiben. Und als Leser interessieren mich selbstredend Bücher mehr als irgendwelche Schriftstellerselfies, inszenierte Skandälchen oder Selbstvermarktungsstrategien von medienhungrigen Schreiberlingen.

Um nur ein einziges Beispiel zu nennen: ich kann mich nicht erinnern, jemals auch nur ein einziges Interview mit Hartmut Lange gelesen zu haben – wahrscheinlich gibt es ein paar, aber sie sind mir nicht erinnerlich; ich weiß nicht mal, wie er aussieht. Und auch sonst hab ich ihn noch nie weder in einer Talkshow gesehen – ok, das ist jetzt ein wenig geschummelt: ich habe nämlich seit vielen Jahren keinen Fernseher mehr -, noch ist er mir als Unterzeichner irgendwelcher Appelle, Propagandist irgendwelcher zweifelhafter Thesen oder Sympathisant irgendwelcher dubioser politischer Gruppierungen erinnerlich. Wie steht er zum Klimawandel? Keine Ahnung, wahrscheinlich so wie ich auch. Seine Werke lassen einen hochintelligenten und reflektierenden Menschen vermuten. Das ganze markenartikelhafte Gehabe gibt es bei ihm (und vielen anderen Autorinnen und Autoren) überhaupt nicht. Es gibt nur, so zuverlässig wie bei einem Schweizer Uhrwerk, Jahr für Jahr aufs Neue diese relativ schmalen, aber großartigen Bücher von ihm. Erzählungen und Novellen hauptsächlich. In einer sehr schlanken, eleganten und verdichteten Prosa geschrieben. Egal, zu welchem der rund zwanzig Bände in der Diogenes-Backlist man greift, man wird einfach nie enttäuscht, sondern auf intelligente Art unterhalten und oft auch zum Nachdenken angeregt. Da lasse ich die ganze langweilige, ärgerliche Markenartikelliteratur gerne links liegen.

Anstatt jedem Hype und jedem Skandal hinterherzuhecheln, sollten wir die richtig guten Autorinnen und Autoren lesen.

© Thomas Hübner and Mytwostotinki, 2014-9. Unauthorized use and/or duplication of this material without expressed and written permission from this blog’s author and/or owner is strictly prohibited. Excerpts and links may be used, provided that full and clear credit is given to Thomas Hübner and Mytwostotinki with appropriate and specific direction to the original content.

Ein bescheidener Vorschlag

Verschiedene Handke-Adepten (darunter auch einige, die ein Eigeninteresse daran haben, etwa weil sie ihre akademische Laufbahn auf dem Werk dieses Autors aufgebaut haben oder Bücher über ihn geschrieben haben) bezeichneten in den letzten Tagen ihre Feinde – das Wort „Gegner“ passt hier wegen des extrem militanten und menschenverachtenden Habitus nicht – mit recht entlarvenden Ausdrücken. Entlarvend nicht für die so Bezeichneten, sondern für die, die ein solches Vokabular benutzen.

Als “windschiefe Gestalten” und “karge Lemuren” – das sind nur zwei Beispiele, man könnte leicht noch viel mehr in diesem Ton finden – werden in der laufenden Diskussion um Peter Handkes Nobelpreiswürdigkeit mittlerweile diejenigen tituliert, die die Frage stellen, ob es wirklich eine gute Idee war, ausgerechnet diesen Schriftsteller mit einem Preis auszuzeichnen, der an einen Autor oder eine Autorin gehen soll, deren Werk in idealistischer Weise herausragend sein soll.

Eine solche hasserfüllte Sprache ist entwürdigend und zutiefst unmenschlich. Wer, wie Handke oder seine Jünger so schnell den guten Ton vermissen lässt – Handke schlägt bei Kritikern ja wohl auch gelegentlich gerne mal mit der Faust zu oder bezeichnet Kritikerinnen als „Westhuren“ -, der sollte nicht arg so empfindlich sein, wenn Menschen Handkes Werk zitieren oder nochmal detailliert Revue passieren lassen, was der Autor gesagt, geschrieben und getan hat.

Niemand von Handkes Kritikern hat gefordert, dass seine Bücher nicht mehr gelesen oder verlegt werden sollen. Niemand von Handkes Kritikern hat gefordert, dass er ausgebürgert werden muss. In der peinlichen Solidaritätsadresse, die jetzt veröffentlicht wurde, wird so getan, als habe Handke seine Existenz aufs Spiel gesetzt, als sei er ein Dissident usw. usw. Davon ist nichts, aber auch gar nichts wahr. Er publiziert, wird gelesen (wahrscheinlich erheblich mehr als ohne seine provokativen Jugoslawien-Texte und die ganze Diskussion darüber), er bekommt Literaturpreis um Literaturpreis. Er ist gut im Geschäft, könnte man sagen. Er gewinnt neue(?) Freunde (Kubitschek & Co.).

Diejenigen, die im Gegensatz zu Peter Handke wirklich ihre Existenz aufs Spiel gesetzt haben, sind die, die Handkes Freunde von den Hügeln rund um Sarajevo über viele Monate beschossen haben, diejenigen, die damit rechnen mussten, dass sie täglich, beim Überqueren einer Strasse in der belagerten Stadt, aus der sie nicht herauskonnten, von einem Scharfschützen ermordet werden. Aber laut Peter Handke war das alles berechtigt, da ja „nur“ Revanche. Oder es hat gar nicht stattgefunden. Oder er hat es nicht so gemeint, falls er es gesagt oder geschrieben haben sollte. Oder er kann sich nicht genau daran erinnern, so was gesagt zu haben. Oder er hat es zwar gesagt, hat es dann aber nicht autorisiert. Oder er hat sich „verhaspelt“ (ein Schlüsselwort für das Wirken von Peter Handke). Und eigentlich wollten diese Leute, die da gemordet haben, seine Freunde, nur Indianer spielen.   

Für diejenigen, die es immer noch nicht verstanden haben: die Kritik an Peter Handke hat er sich verdient. Nicht, weil er „Medienkritik“ übte, wie das jetzt einige Baudrillard zitierende Zeitgenossen behaupten – „Lügenpresse“ zu sagen (und nichts anderes tut Handke), ist keine Medienkritik, es ist dumpfe Propaganda -, sondern weil er seit Jahrzehnten das völkisch-geschichtsrevisionistische Narrativ von Leuten, die buchstäblich Blut an den Händen haben, verbreitet, weil er absolut jede glaubhafte Empathie mit den Opfern der von Serben begangenen Verbrechen vermissen lässt, weil er Täter zu Opfern umlügt.

In diesem Zusammenhang mache ich einen bescheidenen Vorschlag hinsichtlich des Literaturnobelpreises 2020:

Der Schwedischen Akademie schlage ich vor, nächstes Jahr Paul Goma mit dem Literaturnobelpreis auszuzeichnen, der ebenfalls ein geschlossen völkisch-revisionistisches Weltbild hat. Und wenn Goma den rumänischen Holocaust als Rache an den jüdisch-bolschewistischen Kommissaren entschuldigt oder sogar rechtfertigt, Opferzahlen herunterrechnet und Täter-Opfer-Umkehr betreibt, folgt er dem gleichen Muster wie Handke. Am Ende waren die Mörder die armen Opfer und wenn sie was Schlechtes getan haben, muss man für die Armen doch Verständnis haben, es war ja allenfalls überzogene Notwehr oder Vergeltung, also eigentlich menschlich verständlich und irgendwie gerechtfertigt. Und dann die schlechte Presse – wie unfair, über diesen Genozid (war es denn einer, werden Gomas Verteidiger fragen) – so einseitig zu berichten. Dahinter steckt bestimmt eine amerikanische PR-Firma. Eine solche Auszeichnung an Goma ist wahrhaft „idealistisch“, wenn ich die Schwedische Akademie richtig verstanden habe. Und im übrigen: Holocaustrelativierung hin oder her – man muss doch Autor und Werk immer schön auseinanderhalten… Wer das dann kritisieren wird, ist “hasserfüllt”, eine “windschiefe Gestalt” oder zählt zu den “kargen Lemuren” (die ja eigentlich keine Menschen sind.). Und mit solch minderwertigem Gesindel müssen sich wahre Humanisten und Idealisten wie die Freunde von Handke oder Goma in Stockholm und anderswo nicht abgeben.

(Sarkasmus-Taste „Aus“)

© Thomas Hübner and Mytwostotinki, 2014-9. Unauthorized use and/or duplication of this material without expressed and written permission from this blog’s author and/or owner is strictly prohibited. Excerpts and links may be used, provided that full and clear credit is given to Thomas Hübner and Mytwostotinki with appropriate and specific direction to the original content.

Abschaffen!

“Den Nobelpreis sollte man endlich abschaffen.”

Das sagte Peter Handke im Jahr 2014, und ich stimme in diesem Fall vollkommen mit ihm überein. Mit der Verleihung des Literaturnobelpreises an diesen Autor ist dieser Preis endgültig obsolet geworden.

Mit dem literarischen Schaffen Handkes konnte ich nie viel anfangen; und wenn er jetzt von manchen als “genialer Stilist” gefeiert wird, habe ich den Eindruck, das solche Leute nicht viel von ihm gelesen haben werden. Das Preziöse und Gestelzte seines Stils sollte doch wohl jedem, der auch nur ein Buch von ihm gelesen hat, aufgefallen sein. Und ein tiefer Denker ist Handke sicher auch nicht, mehr als einmal schrieb ich “Schwafler!” oder “Dampfplauderer!” an den Rand – zugegeben, manche halten solche Stellen offenbar für “poetisch”. Und die Dialoge, die Handke für Wim Wenders’ Der Himmel über Berlin geschrieben hat, strotzen nur so von Stilblüten und grandiosem Kitsch.

Ich will hier aber keine Stilkritik betreiben, sondern vielmehr ein paar Beobachtungen mitteilen, die ich im Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte um Handkes Aussagen zu Serbien und seiner Rolle in den Jugoslawien-Kriegen gemacht habe.

Dabei wurde von denjenigen, die glauben, Handke habe den Nobelpreis wegen dieser Rolle nicht verdient, geltend gemacht, dass er sich bewusst und über Jahre hinweg zum Apologeten des aggressiven serbischen Nationalismus und Chauvinismus gemacht habe, dass er die Nähe von Kriegsverbrechern gesucht habe, sich mit Karadžić und Milošević getroffen und ihnen Texte gewidmet habe, dass er muslimische und kroatische Opfer und ihre Familien verhöhnt und entwürdigt habe, den Völkermord in Srebrenica erst in Frage gestellt, dann relativiert und entschuldigt habe, und einiges mehr.

Diejenigen, die die Auszeichnung Handkes für gerechtfertigt halten, verweisen auf seine angeblich überragende Bedeutung als Autor; die von seinen Gegnern beanstandeten Punkte werden entweder geleugnet, als vereinzelte, nicht relevante “umstrittene” Aussagen, die aus dem Zusammenhang gerissen wurden heruntergespielt, oder es wird auf die angebliche Trennung zwischen literarischem Werk und Autor hingewiesen, die man beachten müsse. Etwaige umstrittene Aussagen des Autors seien für die Beurteilung seines Werks unerheblich und würden dieses nicht beschädigen. Der Nobelpreis sei ein Literaturpreis und kein Preis für die politischen Auffassungen seines Autors. Ferner wurde den Handke-Gegnern generell unterstellt, sie kennten sein Werk nicht und würden eine Hetzjagd auf ihn betreiben. Vereinzelt wurde geäußert, Kritik an Handke sei “widerlich” bzw. einzelne Kritiker, die so etwas sagten seien “einfach nur widerlich”.

Die zum Teil scharfe Kritik an Handke kam für mich nicht überraschend. Als jemand, der 5 Jahre in Ex-Jugoslawien gelebt hat und viele Menschen verschiedener ethnischer Gruppen dort und deren Leidensgeschichte kennt, habe ich das umfangreiche Werk Handkes zum Thema Serbien (es taucht in wenigstens 6 seiner Werke als Hauptthema auf, außerdem gibt es Erzählungen, Essays, Interviews – er hat sich geradezu obsessiv an diesem Thema abgearbeitet.) über viele Jahre mit zunehmendem Unbehagen verfolgt. Die an Handke jetzt gemachten Vorwürfe treffen aus meiner Sicht vollkommen ins Schwarze.

Zum Argument, der Literaturnobelpreis sei nur ein Literaturpreis und Handkes umstrittene Aussagen irrelevant, muss darauf hingewiesen werden, dass das so nicht stimmt. Der Literaturnobelpreis ist nach dem Willen seines Stifters ein Preis der dem Autor verliehen werden soll, der „das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen hat“. Worin die “idealistische Richtung” von Handkes Serbien-Werken liegen soll, konnte mir bisher leider niemand erklären. Aber vielleicht kommt das ja noch.

Die angebliche Trennung von Autor und Werk – nun ja, der Autor hat ja das Werk produziert, es gibt also wohl das wieder, was er denkt und glaubt. Handke ist ja nicht der erste Autor, der Dinge gesagt oder geschrieben oder getan hat, die vollkommen unakzeptabel sind. Aber weder ein Celine noch ein Pound haben den Nobelpreis bekommen, und zwar aus gutem Grund. (Dass das Nobelpreiskommitee aber auch schon in der Vergangenheit unakzeptable Autoren ausgezeichnet hat, muss man allerdings auch festhalten. Man denke nur an Pablo Neruda, ein Mann der viele Jahre lang Teil der stalinistischen Mordmaschinerie war.) Und Handkes umstrittene Aussagen stehen ja in mindestens einem halben Dutzend seiner Werke, ein nicht ganz belangloser Teil seines Werkes.

Nachdem die Auseinandersetzung in den Medien nunmehr schon seit Wochen andauert, sollte hier vielleicht auf zwei Artikel aufmerksam gemacht werden, die ganz gut das zusammenfassen (mit ausführlichen Textzitaten von Handke), was es an seinen Serbien-Texten zu beanstanden gibt.

Einige der Handke-Befürworter machen in dieser Phase leider einen wenig angenehmen und intellektuell oft nicht gerade redlichen Eindruck. Nachdem erst behauptet wurde, die Handke-Kritiker kennten sein Werk nicht, wurden jetzt, insbesondere nachdem Michael Martens (FAZ) und Alida Bremer (Perlentaucher) umfangreiche Nachweise für das chauvinistisch-revisionistische Engagement Handkes geliefert haben, weinerlich behauptet: “Nennen Sie das eine intellektuelle Debatte, mir einfach so Zitate vorzuhalten!” (Ein bekannter Handke-Biograph äußerte sich so sinngemäß auf Twitter.) Jetzt heißt es: “Hetzkampagne, wie unfair!”, und “Der arme Mann!”.

Nein, werte Handke-Verehrer, das Zitieren und leidenschaftslose Analysieren der Handke-Texte ist keine Hetzkampagne. Es ist unangenehm für den Genozid-Relativierer Handke, der in dem Licht seiner eigenen Texte gezeigt wird. Wenn es an der ganzen Angelegenheit etwas Widerliches gibt, sind es die Texte Handkes, nicht das Sich-ins-Erinnern-Rufen dessen, was er seit vielen Jahren gesagt, geschrieben und getan hat.

Was mich bei der Diskussion um Handke besonders schockt, ist etwas wozu ich ein wenig ausholen will. Geschichtsrevisionismus und extremer Nationalismus, der auch vor der Vertreibung und Ermordung ganzer Völker nicht haltmacht, sind ein grosses Problem in ganz Osteuropa. Über die versuchte Rehabilitierung einer faschistischen und antisemitischen Organisation, für die sich ein bulgarischer Schriftsteller kürzlich einsetzte, habe ich an anderer Stelle berichtet. In Rumänien, wo der Antisemitismus unter Intellektuellen immer besonders stark ausgeprägt war, macht der Schriftsteller Paul Goma seit vielen Jahren Stimmung gegen die Juden. Die Juden seien nun mal die Erfinder des Kommunismus und der Völkermord der Rumänen an den Juden im 2. Weltkrieg – den er abwechselnd mal leugnet und dann wieder zugibt, aber relativiert – sei daher als Racheakt zu sehen, und sei daher gewissermaßen verständlich und entschuldbar.

Handke argumentiert analog ganz genauso, wenn es um den Massenmord von Srebrenica geht, den er abwechselnd leugnet, dann bezweifelt, dann zwar zugibt, aber relativiert (es waren angeblich “nur” 2000 bis 4000 Opfer, und es war auch kein Genozid, weil die Ermordeten ausschließlich Männer waren(!) – außerdem sei die Tat nur ein Racheakt gewesen für ein angebliches Massaker der “Muselmanen”. Die Täter-Opfer-Umkehr ist etwas, was Handke mit vielen Apologeten seiner Couleur gemeinsam hat.). Die Serben, die jahrelang die Einwohner Sarajevos terrorisierten und Tausende von ihnen durch Scharfschützen ermordeten werden gar mit Leuten, die eigentlich nur Indianer spielen wollten, verglichen! Das ist alles so erschreckend menschenverachtend, so bar jeder Empathie mit den Opfern (denen er im Tod sogar den Opferstatus abspricht – Opfer sind bei ihm die Serben) – dass es mir einfach nur den Atem verschlägt, wenn sich Menschen, die sich als Intellektuelle bezeichnen, sich nicht mit schärfsten Worten von solchen furchtbaren Äußerungen in seinem Werk distanzieren und es sogar begeistert feiern, wenn Herr Handke mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird. Ich finde sowohl die Auszeichnung für Handke, als auch vieles von dem, was seine Verteidiger schreiben, schlicht und einfach zum Kotzen. – Pardon my French!

Wer sich über Strömungen unter serbischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts (darunter auch Ivo Andric) informieren will, in die sich Handke, der Apologet der ethnischen Säuberung einreiht, sei auf die untenstehende Veröffentlichung des Albanologen Robert Elsie hingewiesen, die auch die beiden Denkschriften des Sarajewo- Attentäters Vaso Čubrilović und das Gutachten von Andric zur ethnischen Säuberung enthält. Vieles von dem, was Handke seinen serbischen Bezugspersonen nachplapperte, hat seine Wurzeln in den Denkschriften Čubrilovićs, der in den 1980ern hochbetagt, wiederentdeckt wurde und dessen Plan zur ethnischen Säuberung das Drehbuch zu den Feldzügen der serbischen Militärs und Paramilitärs darstellte.

“Den Nobelpreis sollte man endlich abschaffen.” – Peter Handke hat Recht! (Das Preisgeld wird er aber sicher annehmen!)

Robert Elsie (Hg.): Gathering Clouds. The Roots of Ethnic Cleansing in Kosovo and Macedonia, Albanian Studies Vol. 4, Centre for Albanian Studies, London 2015